Mittwoch, 27. Mai 2015

Irak. Ein Staat zerfällt

Nein, kein Staat zerfällt einfach so, auch der Irak nicht. Mögen Korruption, Vetternwirtschaft und all die anderen Voruteile, die der Westen gerne den Staaten vorwirft, die er vorher überfallen und zugrundegerichtet hat, zutreffen, im Irak verhält es sich anders. Dieser Staat wurde in voller Absicht von einer skrupellosen Bande neokonservativer Machtpolitiker in Washington zur Zerstörung (Schock-and-Awe-Strategie) freigegeben, denen 9/11 nur als bequemer Vorwand diente, einen längst beschlossenen Plan in die Tat umzusetzen. 

Alle Staaten, die vom US-Imperium und seinen willfährigen Vasallen-Staaten überfallen worden sind, befinden sich in einem ähnlich desolaten Zustand: Afghanistan, Libyen, Syrien, Jemen, Somalia bis ins Herz Afrikas hinein. Noch ist der "New Middle East" nicht vollendet, einige Staaten müssen noch entlang ethnischer Grenzen zerstört werden, und die koloniale Nachkriegsordnung wird gerade vom "Islamischen Staat" geschleift - ein Terror-Geschöpf der CIA und seiner befreundeten Geheimdienste. 

Der Irak-Band der Journalistin Tyma Kraitt hat zwei Schwerpunkte: Einige Artikel befassen sich mit historischen, kulturellen und innerirakischen Entwicklungen, wohingegen die anderen Beiträge sich mit geopolitischen und geostrategischen Fragen befassen, die für den Überfall der USA auschlaggebender waren, wie zum Beispiel die Kontrolle der Ölfelder, des Wassers und des Gases. Irak galt als ein Experimentierfeld des "neoliberalen Kolonialismus". Um Demokratie, Menschen- oder gar Frauenrechte, die irakischen Frauen gehörten zu den Emanzipiertesten im ganzen Nahen Osten, ging es den US-Machtpolitikern nicht; diese Rhetorik ist bei allen US- Interventionen schmückendes Beiwerk. 

Wer sich hingegen über die Vielschichtigkeit des Irak und das Dilemma, in dem sich das Land befindet, fundiert informieren will, sollte das Kraitt-Buch lesen, in dem Journalisten, ehemalige Diplomaten und Wissenschaftler eine andere Sicht der Lage schildern, als die Öffentlichkeit von den Konzern-Medien vorgesetzt bekommen. Die ehemalige Diplomatin Karin Kneissl rechnet mit einem baldigen Ableben der Petro-Diktaturen auf der arabischen Halbinsel. Wer dann die Saudis retten wird, die USA oder ihr Klientel-Staat Israel, bleibt eine offene Frage.

In seinem Beitrag erhebt der ehemalige Leiter des UN-Programms "Öl für Lebensmittel" im Irak, Hans-Christoph von Sponeck, schwere Vorwürfe gegen die USA , Großbritannien und den UN-Sicherheitsrat, die das Programm zum Scheitern brachten, weil sie durch ihre Sanktionsregime einen Umsturz des Regimes von Saddam Hussein erreichen wollten. Das Wirtschaftsembargo veränderte "das Leben der irakischen Zivilbevölkerung drastisch zum Schlechteren". Das mörderische Sanktionsregime wurde zwei Monate nach dem Überfall auf den Irak aufgehoben. 

Mayassa Kraitt schildert die heikle Lage der Frauen unter dem jetzigen Regime. Die Gleichberechtigung der Frau und ihre gesellschaftliche Stellung sind auf allen Gebieten durch den religiösen Einfluss zunichte gemacht worden. Die Frauen sind auf ihre traditionelle Rolle zurückgeworfen worden und müssen sich der Scharia unterordnen, die ihre Stellung gegenüber dem Mann weiter schwächt. Auch dies ein "Verdienst" des Überfalls durch die USA. 

Die geopolitischen Implikationen nehmen zu Recht den zentralen Stellenwert ein, weil es bei dem Überfall einzig und allein darum ging. Ein Nutznießer dieser geopolitischen Veränderungen sind die Kurden und die Türkei. Letztere bemüht sich besonders eifrig darum, die Terrorgruppen in Syrien zu fördern, weil es das Ziels des "neo-osmanischen" türkischen Präsidenten Erdogan ist, Baschar al-Assad zu stürzen, wie es der Journalist Ali-Cem Deniz nennt. 

Abschließend zeichnet der emeritierte Professor für Politikwissenschaft, Werner Ruf, die "neue" geostrategische Karte des Nahen und Mittleren Ostens. Schnell wird deutlich, dass es primär um die Kontrolle der Öl- und Gasvorkommen geht. Wer die Pipline-Karte bestimmt, bestimmt über den größten Teil der Welt. Dies zeigt sich daran, dass auf Druck der EU und der NATO, das russische Pipline-Projekt "Nabucco" aufgegeben werden musste. Durch die Ausführungen von Ruf über das Iranische Gasvorkommen kann man erahnen, dass die Atomverhandlungen zwischen Iran und den USA nichts mit der Nuklearpolitik Irans, sondern primär mit Gas und Öl zu tun haben, um Russland für seine Ukraine-Politik abzustrafen. 

Das Chaos, das nicht nur im Irak geschaffen worden ist, hat einen Namen: die USA und ihre westlichen Satellitenstaaten. Die Bushs, Blairs, Cheneys, Rumsfelds etc. gehören vor ein Kriegsgericht, weil sie gegen die "Nürnberger Prinzipien" von 1945 verstoßen haben und grundlos einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen haben. 

Das Irak-Buch vermittelt einen sehr guten Einblick in die Geschichte und die komplizierte Lage des Irak und zeigt darüber hinaus, wie durch machtbesessene westliche Politiker ein blühendes Land total zugrunde gerichtet worden ist. 

Irak. Ein Staat zerfällt, ProMedia, Wien.