Sonntag, 15. März 2015

Merkel erwache! Israel vor Gericht

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel jährt sich in diesem Jahr zum 50. Mal. Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse war Israel Gastland. Bei dem ganzen Tamtam gerät leicht in Vergessenheit, dass hier ein Besatzerstaat bejubelt wird, der seit 48 Jahren einem anderen Volk die Freiheit und die Existenzgrundlage entzieht und es einem rassistischen Besatzungsregime unterworfen hat. 

Organisiert wurde dieser Event von der israelischen Botschaft und Bertelsmann! In zwei Jahren wird des 50. Jahrestages der israelischen Besatzung Palästinas gedacht. Wird es dann auch ein so gut organisiertes und orchestriertes Tamtam à la Leipziger Buchmesse geben? Vielleicht dann anlässlich der Frankfurter Buchmesse? 

In den Staatsmedien wurden auf der Buchmesse die üblichen Autoren und Schriftsteller bejubelt, die die grausame Besatzung feuilletonistisch relativieren und das bilaterale Verhältnis traktieren. Von Büchern, die tatsächlich relevant sind und sich mit der brutalen Realität vor Ort, der zionistischen rassistischen Ideologie und den israelischen Besatzungsverbrechen auseinandersetzen, hört man in den Verlautbarungen jedoch nichts. Dazu gehören u. a. "Die Hölle von Gaza" (Leika Verlag), "Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung (ProMedia Verlag) und "Merkel erwache! Israel vor Gericht" (Zambon Verlag).

Abraham Melzer, Chefredakteur der Online-Zeitschrift "Der Semit", hat einen besonders provokanten Buchtitel mit "Merkel erwache!" gewählt, der zwangsläufig Assoziationen zu "Deutschland erwache" weckt; auch der Untertitel "Essays eines antizionisitischen Juden" lässt Unkonventionelles über Israel erwarten. In seinem Vorwort hat der israelische Historiker Moshe Zuckermann diese Assoziation ins rechte Licht gerückt. 

"Wenn die Beziehung Deutschlands zu Israel (und Israels zu Deutschland) letztlich durch die nazistische Vergangenheit Deutschlands kodiert ist, diese Vergangenheit aber mittlerweile zur schändlichst fetischisierten Ideologie geronnen ist, so kann man sich dieser verfestigten Kodierung einzig durch Umwendung des Kodierten aus sich heraus entwinden. Nur so lässt sich die Aufhebung dessen, was sich ideologisch zur falschen Handlungsgrundlage verhärtet hat, bewerkstelligen. Die Ironie des Titels mag dies leisten." 

Ob die zionistische Lobby sich über Melzer hermachen wird, ist nicht zu erwarten. Viel eher ist zu erwarten, dass ihr perfider und polemischer Mienenhund und dessen antideutschen Wasserträger und Wadenbeißer ihm "jüdischen Antisemitismus" oder "jüdischen Selbsthass" vorwerfen werden. Aber solchen Blödsinn dürfte den Autor ebenso wenig beeindrucken, wie es den Mond kalt lässt, wenn ihn eine Hund anbellt. Dass sich aber immer mehr Deutsche von den Drohgebärden der zionistischen Lobby einschüchtern lassen, lässt für die Meinungsfreiheit in Deutschland nicht Gutes erwarten. 

Der Autor geht mit der Haltung der Bundeskanzlerin und deren Aussage, dass die Sicherheit Israel zur deutschen Staatsräson gehöre, hart ins Gericht. So behaupte sie, dass "einseitige Schritte dem Friedensprozess" schadeten. Wer dies behaupte, so Melzer, handel nach derselben Logik, die behauptet, "dass Arbeit frei mache"."Der Zynismus und die Häme mit denen die Israelis und die Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bestrebungen der Palästinenser nach Anerkennung und Beachtung beantworten, sind mindestens genauso widerlich und unmoralisch wie der Zynismus der Nazis." 

In Bezug auf die Haltung der Kanzlerin redet Melzer Tacheles und weist auf die doppelten Standards hin, die Grundlage ihrer Politik sind. "Wie lange sollen wir noch diese Heuchelei ertragen", fragt der Autor. "Russlands Vorgehen auf der Krim ist nicht akzeptabel, sagt Merkel und fügt hinzu, dass territoriale Integrität ein unverzichtbarer Teil der europäischen Nachkriegsordnung sei. Was ist aber mit der territorialen Integrität Palästinas? Warum schweigt sie zum israelischen Landraub, während sie die Russen kritisiert?" Gehört die Freiheit und die Würde der Palästinenser nicht zur "deutschen Staatsräson", sondern nur die der israelischen Besatzer?

Das Buch enthält eine große Anzahl von Essays, die der Autor zwischen 2010 und 2014 verfasst und teilweise in der Zeitschrift "Der Semit" veröffentlicht hat. Sie zeugen alle von großem Mut und sind von einer Gradlinigkeit geprägt, die man in Deutschland in Bezug auf Israelkritik selten antrifft. Angst, politisches Duckmäusertum und mangelnde Zivilcourage in Bezug auf das völkerrechtswidrige Verhalten der israelischen Regierungspolitik sind allerorten anzutreffen. Selbst die Repräsentanten, die sich anmaßen, im Sinne der Palästinenser zu sprechen, erscheinen oft wie weichgespülte Zionisten, die der palästinensischen Sache mehr schaden als nützen. 

Melzer weist den Vorwurf des "Antisemitismus" in Bezug auf die Kritik der israelischen Regierungspolitik zurück. "Früher war ein Antisemit derjenige, der Juden hasste. Heute ist ein Antisemit eher derjenige, den die Juden nicht mögen." Antisemitismus habe heutzutage nicht mehr viel mit dem wirklichen Antisemitismus zu tun. "Man muss kein Antisemit sein, um als solcher von Berufszionisten und Berufsjuden in die Pfanne gehauen zu werden." 

Für den Autor ist Antisemitismus eine Form des Rassismus. "Antisemitismus bedeutet, Juden zu hassen und töten zu wollen, nur weil sie Juden sind." Folglich stelle Kritik an der Besatzungspolitik Israels keinen Antisemitismus dar. Ein Kampf für Gerechtigkeit und das Anprangern von Ungerechtigkeit könne nicht antisemitisch sein. Gleichwohl werden diese Kritiker von Zionisten, den so genannten Freunden Israels oder den unzähligen "Philosemiten", die selbst von Berufszionisten als "verkappte Antisemiten" eingestuft werden, als "Feinde des jüdischen Volkes" dargestellt. 

"Jedoch ist nicht die Kritik an Israel antisemitisch, sondern die Politik Israels selbst ist es. Sie hat den Ruf des Judentums als einer Religion der Vernunft und der Gerechtigkeit weltweit beschädigt. Es sind Israels Politiker, die nicht nachlassen, im Namen der Juden und im Namen des Judentums zu sprechen und dann all diejenigen Juden, die das ablehnen und laut rufen: Nicht in unserem Namen, als 'Antisemiten' oder als 'jüdische Selbsthasser' zu diffamieren." 

In dem Buch wird auch deutlich, wie absurd die "Argumente" der Verteidiger israelischer Politik sind. Man bedient sich des Mittels der Diffamierung Andersdenkender, weil die Unterdrückungspolitik Israels gegenüber den Palästinensern jeder Ethik und Moral widerspricht, und deshalb müssen die Kritiker mundtot gemacht oder existentiell vernichtet oder marginalisiert werden. In diesen Fällen leistet die israelische Hasbara (Propaganda) ganze Arbeit. Der Autor entlarvt diese Doppelmoral und nennt die Dinge beim Namen. In einer klaren Sprache nimmt er die "Argumente" der zionistischen Lobbyisten auseinander und zeigt, wie absurd sie sind. 

Dieses Buch wirkt erfrischend, weil es den Mief, der die deutsche Nahostdebatte umgibt, lüftet und für geistige Freiheit sorgt. Die Lektüre könnte die Zivilcourage in Sachen Israelkritik stärken und die verquaste deutsche Debatte auf die Höhe der Zeit bringen. Allen an Israel und Palästina Interessierten, aber insbesondere der politischen Klasse sei das Buch empfohlen, damit auch dort wieder Mut und Zivilcourage Einzug halten und Israels Kolonialpolitik die Kritik erfährt, die ihr gebührt. Chapeau, Abi Melzer! 

Merkel erwache! Israel vor Gericht. Essays eines antizionistischen Juden. Mit einem Vorwort von Moshe Zuckermann, Zambon, Frankfurt/M. 2015, 308 Seiten, € 15.

Erschienen auch hier.