Sonntag, 1. Juni 2014

Das Modell Deutschland und die europäische Krise

Eine solche „Liebeserklärung“ an Deutschland und für eine „deutsche Hegemonie“ in Europa hätte sich kein deutscher Intellektueller jemals gewagt zu schreiben. Die Pressestimmen und die Besprechungen des Buches sind folglich eher verhalten, wenig überschwänglich und sehr rar, weil die Thesen des italienischen Politologen Angelo Bolaffi gegen die politischen Denkbarrieren in Deutschland verstoßen. Da Deutschland seine tragische Vergangenheit verarbeitet habe, sei es verpflichtet, die Verantwortung für die Zukunft Europas zu übernehmen, so eine zentrale These des Autors.

Soll also am „deutschen Wesen“ dieses Mal Europa genesen? Glaubt man den Verlautbarungen der EU-Enthusiasten und deren medialen Verstärkern, soll nun die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident auf den Schild heben, nachdem sie ihn noch auf der ersten Sitzung der Staats- und Regierungschefs nach der Europawahl im Regen hat stehen lassen. Nachdem ihr Lavieren zu heftiger Kritik geführt hat, war Juncker plötzlich wieder Merkels Kandidat. Aber bei Merkel weiß man nie, woran man politisch ist.

Gab es da nicht eine Europawahl, bei der angeblich der EU-Kommissionspräsident hätte gewählt werden sollen? Mit der Präsentation von so genannten Spitzenkandidaten, die im EU-Vertrag gar nicht vorgesehen sind, haben die Parteien die Wähler verhohnepiepelt. Jetzt soll aber plötzlich die Kanzlerin entscheiden. Entschied in der ehemaligen Sowjetunion letztendlich nicht auch der Generalsekretär eigenmächtig an allen Gremien vorbei? Was werden wohl die 27 anderen Staats- und Regierungschefs dazu sagen?

Premierminister David Cameron hat schon einmal vorsorglich Merkel und der EU den Fehdehandschuh hingeworfen. Juncker könne nur über die britische Leiche inthronisiert werden, sprich, Cameron droht mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU. „Ein Gesicht der Achtzigerjahre kann nicht die Probleme der nächsten fünf Jahre lösen“, so der britische Premierminister. Die politische Zusammensetzung des EU-Parlaments und die katastrophale Lage, in der sich die EU befindet, verlangt nach einem Realisten und keinem Utopisten an seiner Spitze. Der ehemalige tschechische Präsident Vaclav Claus wäre am geeignetsten, um die EU an Haupt und Gliedern zu reformieren.

Die Einführung des Euro war als ein Geniestreich der deutschen politischen Klasse gegen das eigene Land und seine dominante Bundesbank gedacht. Wieder alle ökonomische Vernunft wurden hochentwickelte Industrie- und Schwellenländer in einer Art Schicksalsgemeinschaft zwangsvereinigt. Was als ein Fortschritt an Integration bejubelt worden ist, hat sich als Sprengsatz für die EU entpuppt. Über die Hälfte der Euro-Länder steht vor dem Staatsbankrott und kann nur mit Hilfe der Europäischen Zentralbank (EZB) finanziell am Leben erhalten werden. Zu diesem Zweck kauft die EZB wertlose Staatsanleihen dieser Länder auf, indem es die Euro-Notenpresse anwirft. Darüber hinaus werden marode Banken vor der Pleite gerettet, wohingegen den Bürgern einiger EU-Staaten Sparprogramme oktroyiert werden, die zu Massenarmut führen wie in Griechenland. Für diese Misere wird Deutschland verantwortlich gemacht, was in dem Schlagwort von der „Germanophobie“ seinen Ausdruck findet. Wie es zu dieser „Germanophobie“ gekommen ist, zeichnet der Autor in seinem Buch „Deutsches Herz“ nach. 

Nach Bolaffi sei der Euro die Ursache der Krise in Europa. Er habe nicht Einheit stiftend, sondern eher spaltend gewirkt. Für diese Spaltung macht der germanophile Autor aber nicht Deutschland sondern Frankreich verantwortlich. Dies trifft in der Tat zu. Da die politische Klasse in Deutschland nicht willens ist, klar die nationale Interesse des Landes zu definieren, stimmte man einer Währungsunion zu, obgleich es Mitterand nur darum ging, die Dominanz Frankreichs über Europa zu perpetuieren, indem er seine Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands von der Aufgabe der D-Mark abhängig machte. Neben Mitterand war auch Margret Thatcher, die britische Premierministerin, gegen eine Wiedervereinigung. Diese konnte nur zusammen mit der Sowjetunion und den USA durchgesetzt werden. 

Frankreich sei nicht bereit gewesen, Souveränität zu teilen. Folglich wurde eine geopolitisch motivierte Währungsunion nur wirtschaftlich umgesetzt, was sie zum Spielball des internationalen Finanzkapitalismus gemacht habe. Um das Projekt „Europa“ vor dem Kollaps zu retten, fordert Bolaffi die Schaffung einer politischen Union. Zu diesem Zweck, müsse Deutschland die Führung übernehmen. Ein „deutsches Europa“ sei in dem Sinne angesagt, wie „Deutschland europäisch“ geworden sei. Ob die deutsche politische Klasse die dazu nötige „Klugheit“ und „Weisheit“ aufbringt, um diese „Hegemonie“ nutzbringend für Europa auszufüllen, darf bei dem politischen Bewusstsein des Personals bezweifelt werden, das eher provinziell gestrickt ist. 

Die Wahlergebnisse der Europawahl sollten Bolaffi aber eines Besseren belehren. Wer unter diesen Umständen für mehr Europa wirbt und für die Aufnahme der Ukraine, Moldawien und Georgien plädiert, zeigt, wie abgehoben von der Realität die politische Nomenklatura in Brüssel bereits ist. Wie weiland sich die DDR-Nomenklatura zum vierzigsten Geburtstag selbst feierte und beklatschte, wo sich vor ihren Augen das Ende ihres Staates ankündigte, so bar jeder Realität verhalten sich auch die Funktionäre der EU. Eine bessere „Kriegserklärung“ an Russland könnte man nicht abgeben, wie dies der EU-Erweiterungskommissare Stefan Füle getan hat: „Wenn wir Ernst damit machen wollen, die Länder in Osteuropa zu transformieren, dann müssen wir auch ernsthaft das mächtigste Instrument, das wir haben, zur Umgestaltung nutzen: die Erweiterung.“ Kurz vor dem Abgrund kann so nur ein „politischer“ Selbstmörder argumentieren. 

Gott sei Dank gibt es auch besonnenere Stimme wie diejenige von Angelo Bolaffi, der sowohl die Widersprüche der EU seit der Unterzeichnung der Maastrichter Verträge als auch die Verantwortlichen für die Misere für das Desaster benannt hat. Damit die Politiker die politischen Zusammenhänge begreifen und offen darüber diskutieren, seien der deutschen und der europäischen politischen Klasse „Deutsches Herz“ wärmstens empfohlen.

Erschienen hier.