Mittwoch, 9. Januar 2013

Boycott, Divestment and Sanctions

„Unser südafrikanischer Augenblick ist endlich gekommen!“ Mit dieser Aufforderung wurde die weltweite Kampagne „Boykott, Desinvestment und Sanktionen“ (BDS) eingeläutet, um gegen „Israels Apartheid“, "Kolonialismus" und die „völkerrechtswidrige Besatzung“ vorzugehen. Die BDS-Kampagne ist im Juli 2005 aus der Mitte der palästinensischen Zivilgesellschaft heraus entstanden und hat den antirassistischen Kampf gegen das weiße Apartheid-Regime in Südafrika als Vorbild. Primär sind die Aktionen gegen den akademischen und kulturellen Bereich gerichtet, da fast alle israelischen Universitäten „Komplizen der Armee und der Besatzung“ seien.

Omar Barghouti studierte Elektrotechnik an der Columbia Universität in New York City und Philosophie an der Universität in Tel Aviv, an der auch einen Doktorgrad erwerben will! Er gehört zu den Mitbegründern von BDS, die das Ende der Besatzung, die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge und die Gleichbehandlung aller Bürger in Israel und Palästina erreichen will. Seit 2008 wird die weltweite BDS-Kampagne von einem „Nationalen Komitee“ geleitet, das sich auf das Völkerrecht und die Universalität der Menschenrechte beruft. Die Organisation weist jeden Rassismus, inklusive Antisemitismus kategorisch zurück und betont die völkerrechtliche Grundlage ihrer Aktionen.

Einige führende Mitglieder unterstützen zwar eine „Ein-Staaten-Lösung“, gleichwohl tritt eine große Anzahl für die „Zwei-Staaten-Lösung“ ein. Von Beginn an blies den Organisatoren der Wind ins Gesicht. Vorwürfe wie „Antisemitismus“, „Delegitimierung“ und „Dämonisierung“ Israels oder die Gleichsetzung Israels mit Apartheid-Südafrika oder der irreführenden und unsäglichen Nazi-Kampagne „Kauft nicht bei Juden“ sind an der Tagesordnung. Dies hat das Anliegen von BDS in den Hintergrund treten lassen. Insbesondere das Insinuieren BDS hätte etwas mit der Nazi-Parole zu tun, ist völlig absurd und infam. War der südafrikanische Boykottaufruf etwa „antichristlich“?

Gleichwohl beharren die Organisatoren auf dem bereits erzielten weltweiten Erfolg. Bei genauerem Hinsehen sind sie aber ihren Zielen keinen Millimeter nähergekommen. Was in jeder Organisation irgendwann aufbricht, sind die internen Machtkämpf um den „richtigen“ Kurs und um die Deutungshoheit. Es scheint, als würde Widerspruch nicht wirklich geduldet, und dass die Grundlage der ursprünglichen Aktion im Nachhinein verändert worden ist von „Beendigung seiner Besatzung und Kolonisierung aller arabischen Länder und der Demontage der Mauer“ hin zu „Beendigung seiner Besatzung und Kolonisierung aller arabischen Länder, die im Juni 1967 besetzt worden sind, und der Demontage der Mauer“. Wer diese inhaltliche Veränderung vorgenommen hat, bleibt im Dunkeln.

Die BDS-Kampagne scheint ein letzter Versuch der Zivilgesellschaft zu sein, das Joch der israelischen Besatzungsherrschaft auf friedliche und gewaltfreie Art und Weise abzuschütteln. Sind doch bisher alle palästinensischen Versuche, mit der israelischen Regierung zu einer gütlichen Beilegung des Konfliktes zu kommen, an der Intransigenz der diversen israelischen Regierungen gescheitert. Das Buch, „Israeli Rejectionism“ zeigt klar und deutlich, dass die israelischen Regierungen für das permanente Scheitern die alleinige Verantwortung tragen.

Die Organisatoren waren nicht gut beraten, durch BDS die wirtschaftliche, kulturelle und akademische Elite Israels zu treffen, weil sie diejenigen sind, die als die eigentlichen Verbündeten gegen die Besatzung hätten gewonnen werden müssen. Das ethische Dilemma von BDS ist, dass es die gesamte israelische Gesellschaft dämonisiert und weder auf Komplexität noch auf die Tiefenstruktur Rücksicht nimmt. BDS hätte sich gegen die israelische Regierung und deren Politik, aber auch gegen die palästinensische Führungen in Ramallah und Gaza richten müssen. Omar Barghouti dagegen betont, dass BDS nur Kolonialismus, Apartheid und Rassismus delegitimieren wolle und nicht die gesamte israelische Gesellschaft. 

Die Kampagne hätte sich ausschließlich gegen die illegalen und völkerrechtswidrigen Siedlungen, deren Unternehmen und Kooperationspartner im Ausland richten müssen. Auch für die apodiktischen Forderungen des Autors wie das „Ende der Besatzung und Kolonisierung“, das Ende der „Rassendiskriminierung“ sowie die Rückkehr der Flüchtlinge in Gebiete, aus denen sie im Zuge der Nakba (Katastrophe) „ethnisch gesäubert“ worden sind, wird es innerhalb der israelischen politischen Elite keinen Ansprechpartner geben. Noam Chomsky und Norman G. Finkelstein haben ihre Unterstützung für BDS zurückgenommen; letzterer hat sie sogar als „Sekte“ bezeichnet.

Was die Organisatoren gar nicht bedacht haben, ist die Machtfrage, die Rolle der USA und der Europäischen Union. Deren Haltung steht allen Forderungen von BDS diametral entgegen. Emotionale Empörung ist kein Ersatz für Politik. Solange sich die öffentliche Meinung in den USA gegenüber Israel nicht radikal ändert und eine Friedenslösung verlangt, wird es zu keiner Lösung in Nahost kommen. Der US-amerikanischen und der israelischen Öffentlichkeit müssen die ökonomischen Vorteile zwischen einem Festhalten an den illegalen Siedlungen und einem wirklichen Frieden aufgezeigt werden. 

Auch die Berufung auf den Erfolg der Boykottmaßnahmen gegen Südafrika hinkt. Israel ist nicht Südafrika. Es hat eine eigene Form der Diskriminierung gegenüber den Palästinensern entwickelt, die der britische Journalist Ben White „Israeli Apartheid“ genannt hat. In Südafrika waren es nicht die Regierungen, die das rassistische Regime zu Fall gebracht haben, sondern die Wirtschaftseliten, deren Kosten durch den Boykott immens gestiegen waren. Im Falle Israel kommt die Unterstützung aber von den Regierungen, insbesondere der US-amerikanischen. 

Obgleich einige Kapitel etwas zusammenhanglos erscheinen, tut dies der Qualität der stringenten Analyse des Autors keinen Abbruch. Es ist sehr verdienstvoll, dass erstmalig die BDS-Kampagne, ihre Motive und Ziele im Zusammenhang dargestellt worden sind.

Erschienen auch hier.