Mittwoch, 19. Dezember 2012

Das Ende der Kriege

US-Präsident Barack Obama hat seinen Landsleuten das Ende der Kriege in Irak und Afghanistan versprochen. Trotz „Rückzug“ aus dem Irak haben die USA dort immer noch 50 000 Soldaten, als „Ausbilder“ verkleidet, stationiert; gleiches soll nach dem offiziellen Abzugstermin in Afghanistan geschehen, wo so genannte Ausbilder von Kampfeinheiten bewacht werden müssen. Beide Länder werden die US-Amerikaner nie wieder verlassen. Amerika habe wieder zwei endlose Kriege angezettelt, so der Autor.

Obama führt die Kriege der „Bushies“ intelligenter weiter, und er hat sich als eine „Black-Bush-light-Version“ entpuppt. Für seine Friedensrhetorik wurde ihm bereits im ersten Amtsjahr der Friedensnobelpreis verliehen. Viele US-Amerikaner sind über diesen „Heilsbringer“ maßlos enttäuscht, dabei tut er doch nur das, was die „Logik“ des US-Imperiums von ihm verlangt: Er dehnt dessen Grenzen und Einflusssphäre nur weiter aus, bis letztendlich alle Staaten dieser Erde unter den Rettungsschirm des „benign hegemon“ geschlüpft sind. 

Seit dem 11. September 2001 haben sich die USA von ihrem einst weltweit bewunderten Demokratie-Modell meilenweit entfernt. Der Schritt, der den Weg in den „Überwachungs- und Polizeistaat“, wie es unzählige Kritiker nennen, wurde „rechtlich“ durch den „Patriot Act“ geebnet. Nach diesem „Gesetz“ steht der US-Präsident über dem Gesetz, und die Regierung scheint mit Allmacht ausgestattet zu sein. Dies zeigt sich u. a. daran, dass er über eine persönliche „Killerliste“ präsidiert und allein entscheidet, wann die darauf befindlichen Personen entweder durch Drohnen oder „Killerkommandos“ liquidiert werden. Das Verwunderlichste daran ist jedoch, dass dies weder die US-Medien noch die Öffentlichkeit merklich interessieren, geschieht es doch für einen vermeintlich guten Zweck, und zwar dem „Kampf gegen den Terror“. 

"@" William T. Hathaway und 15 andere Autoren des Buches fühlen sich von dieser Art auf Showeffekte setzenden Art Demokratie und Politik angewidert und haben sich auch für alternative Methoden des Widerstandes entschieden, um der Kriegstreiberei endlich ein Ende zu bereiten, wie es auf dem Cover heißt. Um ein Buch über den Krieg zu schreiben, trat der Autor in die „Special Forces“ ein und diente in Panama und Vietnam. Während dieser Militäroperationen redete sich der Autor ständig ein, er wolle ja nur ein Buch schreiben, aber seine Aktionen hatten gravierende Folgen nicht nur für ihn, sondern auch für die betroffenen Menschen. „Ich habe immer noch mit den Nachwirkungen meiner Kriegseinsätze zu kämpfen, und meine Arbeit als Friedensaktivist ist ein Weg, dafür zu büßen.“ Nach seinem Militärdienst wurde er Friedensaktivist und arbeitete als Journalist und Buchautor. Hathaway lebt in Oldenburg und hatte Lehraufträge an der dortigen Universität, bis die englische Fassung „Radical Peace. People Refusing War“ in den USA erschien ist.

Die meisten, die an diesem Buch Beteiligten, seien  „Gesetzesbrecher“, die sich gegen die „Verballhornung“ der Freiheit in den USA durch den „Patriot Act“ zur Wehr setzen, so Hathaway im Vorwort. Um der Unterwanderung und Überwachung zu entgehen, ist die Gruppe nicht organisiert, sondern nur lose als Netzwerk miteinander verbunden. Die Regierungen würden diese Personen, wenn sie ihnen habhaft werden würden, am liebsten anklagen und ins Gefängnis stecken, deshalb handelt es sich bei den Namen ausschließlich um Pseudonyme, bis auf den des Autors. Hathaway steht mit seinem Namen für das Buch, weil er nicht mehr im „homeland“, sprich den USA, lebt.

Was hier in 15 Kapiteln dargelegt wird, kommt einem Verzweiflungsschrei gleich. Den Autorinnen und Autoren treiben die Fragen um, wie kann man den Krieg und das Töten verhindern. Sie gehen deshalb auf Konfrontationskurs mit der Staatsmacht und wollen deren „Tötungsmaschinerie“ aufhalten. Sollte dies nicht gelingen, versuchen sie „Sand ins Getriebe“ des Leviathans zu streuen, um ein reibungsloses Funktionieren zu verhindern. Die hier erzählten Lebensgeschichten sind sehr persönlich, mache extrem persönlich brutal.

So erzählt z. B die US-Soldatin „Larissa“ im Kapitel „Kriegskameraden: Vergewaltigung im US-Militär“ von ihren traumatischen Erlebnissen in Irak, wie brutal ihre Kameraden mit den Irakern umgehen. Sie selbst leben in Militärlagern, die kleinen amerikanischen Städtchen gleichen. Alles im Überfluss, wohingegen außerhalb des Lagers die Armut und das Chaos herrschen. Manchmal öffnen sich die Pforten der Hölle auch für die Soldatinnen im eigenen Lager. „Larissa“ hat die Hölle am eigenen Leibe erfahren. Mitten in der Nacht wurde sie von einem männlichen „Kameraden“ auf der Toilette auf das Übelste vergewaltig. Der erste Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss, war, nichts wie weg aus dieser Hölle. Sie reichte eine Beschwerde bei ihren Vorgesetzten ein, die aber zu nichts führte, weil sie keine „Beweise“ vorlegen konnte! Sie wurde zu ihrem Schutz in ein anderes Militärlager verlegt, aus dem sie sich jedoch in die Niederlande absetzt. Ihre erschütternde Geschichte schickte das „little black Dutch-girl“ an Hathaway zur Veröffentlichung. Vergewaltigungen im US-Militär sind keine Seltenheit. Die Selbstmordrate von Soldaten oder Veteranen ist explodiert, und die Moral der Truppe liegt am Boden.

Wie tief die Abneigung unter Irakern den US-Amerikanern gegenüber ist, macht das Interview mit „Merna al-Marjan“ im Kapitel „Der Bruder mit den Raketen“ deutlich. Der Grund liegt wieder im brutalen und rücksichtslosen Verhalten der US-Soldaten gegenüber den Menschen in Irak. Mitten in der Nacht wurde das Haus der „al-Marjans“ gestürmt. Die Soldaten traten die Tür ein, betatschten „Merna“ und ihre Mutter von oben bis unten, die in ihren Pyjamas vor ihnen standen. Als ihr Bruder ihnen zur Hilfe kommen wollte, wurde er brutal zusammengeschlagen, in Handschellen gelegt und zusammen mit seinem Vater, den man vorher auch niedergeschlagen hatte, auf einem großen Platz zusammengetrieben, bevor man den Sohn zur Folterung abtransportierte; der Vater entging der Misshandlung. „Mernas“ Bruder schloss sich dem Widerstand an, wohingegen „Merna“ geistigen Widerstand leistet, indem sie in Deutschland Europäische Geschichte studiert, um den Vandalismus des Westens „besser verstehen“ und folglich besser bekämpfen zu können. 

Weiterhin weist sie auf das schräge Bild des Westens hin, welches er von muslimischen Frauen und Männer hat. „Wenn Menschen im Westen mit diesem falschen Bild Musliminnen ihre ideelle oder militärische Invasion rechtfertigen, werde ich richtig wütend. Sie sind davon überzeugt, dass wir wie sie lieben sollten. Wenn sie selber glücklich wären, könnte man das ja noch verstehen. Dann könnten sie sagen: Hey, schaut uns an, macht es uns nach. Aber sie sind viel unglücklicher als viele von uns. Ihre Ehen und Familien fallen auseinander, ihre Kinder begehen schreckliche Verbrechen, begehen Selbstmord. Ihre Gesellschaft ist zersplittert in isolierte, konkurrierende Individuen. Das ist grausam – aber sie wollen uns ihr Leben aufzwingen.“ „Merna“ ist mit den Geschlechterrollen in der arabischen Welt nicht zufrieden. Man müsse sie selbst ändern, wir bedürfen dazu nicht des Ratschlags aus dem Westen. 

Auch ihre Meinung über die deutsche Politik ist wenig schmeichelhaft: „Die Deutschen haben Angst. Sie wollen der Welt weismachen, dass sie den Amerikanern nicht bedingungslos folgen, dabei helfen sie ihnen tagtäglich, Iraker und Afghanen zu töten. Und sie wissen, dass das in ihrem Land zu Racheakten führen wird; also lassen sie Muslime nur noch ungern ins Land. Für sie sind wir alle potentielle Terroristen.“ Deutschland habe vor dem US-amerikanischen Überfall Spione ins irakische Verteidigungsministerium geschleust, und diese Spione hatten irakische Geheimdokumente gestohlen. „In diesen Dokumenten war detailliert aufgelistet, wo sie im Falle einer amerikanischen Invasion ihre Truppen stationieren wollten, wo Flugabwehrraketen aufgestellt werden und wo Vorräte gelagert werden sollten. Die Deutschen gaben diese Pläne an die Amerikaner weiter, die dann genau wussten, wo sie ihre Bomben fallen lassen mussten. Zehntausende unserer Soldaten kamen dadurch ums Leben. Jetzt müssen ihre Familien sie rächen. Die Deutschen helfen den Amerikanern auch dabei, der neuen Armee und Polizei beizubringen, wie sie das Volk unterdrücken können. Und sie schicken militärisches Gerät, um die Aufstände zu bekämpfen. Iraker werden mit deutschen Waffen getötet.“

Ein Kapitel ist spannender als das andere, wenn z. B. im Kapitel „Die wahren Kriegshelden“ von der „Entführung“ des Soldaten „Rick“ durch die Pax Christi-Mitarbeiterin „Petra“ berichtet wird. Zusammen mit Hathaway „entführten“ sie den Soldaten beim Aufsammeln von Müll vor einem Internierungslager, in dem er wegen „unerlaubten Entfernens von der Truppe“ festgehalten worden war, um ihn nach Schweden zu bringen. Oder Hathaways geschickte Vermittlung zwischen einem mit ihm eng befreundeten Ehepaar, das sich nach 40 Ehejahren scheiden lassen wollte, nur weil sie unterschiedlicher Meinung über die Politik von George W. Bush und des Staates Israel waren!

Mit der Veröffentlichung dieses Buches ist dieser Lebensabschnitt für den Autor jedoch abgeschlossen. Kontakte zu den anderen Autorinnen und Autoren gibt es nicht mehr. Für Hathaway haben sich die Prioritäten geändert. Die damaligen Aktionsformen können nicht unkritisch fortgesetzt werden. Es gibt für ihn Wichtigeres zu tun, wie z. B. die Organisierung der Arbeiterklasse als Gegengewicht zur Allmacht des Staates.

Generell muss die Frage erlaubt sein, ob bloße illegale Aktionen und Protestformen langfristig überhaupt zu irgendetwas Positivem führen können? Illegales oder kriminelles Handeln führen in einem Rechtsstaat zu nichts außer ins Gefängnis. Trotz vieler rechtlich mehr als fragwürdiger Aktionen ist das Buch eine höchst spannende Lektüre, weil es halsbrecherische und verzweifelte Aktionen Einzelner gegen die übermächtige Staatsmacht und deren Militärmaschinerie schildert, und sollte deshalb von vielen Friedens- und Antikriegsaktivisten gelesen werden.