Dienstag, 16. Oktober 2012

Euroland wird abgebrannt

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union (EU) durch das norwegische Nobelkomitee kann auch als Abgesang auf die größte „Friedensbewegung“ aller Zeiten samt seiner Polit-Währung, den Euro, interpretiert werden, frei nach dem Motto: Retten, was noch zu retten ist, bevor das Luftschloss in sich zusammenbricht. Diese Entscheidung zeigt, wie weit das Nobel-Komitee von der Realität entfernt ist. 

Von den wenigen Realisten in einem journalistischen Heer von Euro-Enthusiasten überragt der Finanzjournalist Lucas Zeise als einer von wenigen „Einäugigen“ die große Masse der „blinden“ politischen Claqueure um Längen. Der Autor gibt dem Euro keine Überlebenschance. Der gerade etablierte „Europäische ‚Schuldenmechanismus‘“ (ESM) dient dazu, Zeit zu kaufen, bis die EU-Bevölkerungen psychologisch „vorbereitet“ sind, einen Währungsschnitt murrend, aber nicht protestierend hinzunehmen.

In dem Kapitel „Die verfehlte Konstruktion des Euro“ weist Zeise darauf hin, dass die Europäische Union auch ohne Euro überleben kann, und dies sogar besser als die Länder, die sich den Euro zugelegt haben. Wenn dieses Politikum „alternativlos“ sein soll, warum gehören dann Polen, Tschechien, Dänemark, Großbritannien und die anderen sechs EU-Mitglieder diesem Währungsclub nicht an? Sie alle werden mit der Wirtschafts- und Währungskrise besser fertig, weil sie die Souveränität über ihre Währung behalten haben und währungspolitische Maßnahmen wie z. B. das Auf- oder Abwerten ihrer Währungen eigenständig regeln können. Dies können die 17 Euro-Staaten nicht, weil dort die stärkeren Länder immer noch stärker und die schwächeren immer noch schwächer werden (63), und sie haben die Handlungsfähigkeit über die eigene Währung einer politischen „Schnapsidee“ geopfert. 

Zeise weist auch auf die gravierenden Konstruktionsfehler des Euro hin: So wurden Länder mit unterschiedlichster Wirtschaftskraft in einem Währungsverbund auf Gedeih und Verderb zusammengekettet. Der Euro sei ein Projekt des Großkapitals gewesen, dass auf die ökonomischen und sozialen Belange der Bürger keinerlei Rücksicht genommen habe. Die Politik sei sich dem Diktat durch die Finanzmärkte bewusst gewesen und habe sich diesem freiwillig ausgeliefert. Ebenso habe es einen Wettbewerb der Staaten um die Gunst der Finanzmärkte gegeben. Zu Recht spreche man vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ (56); diese von den Menschen weitgehend akzeptierter These von der Vorherrschaft des Finanzkapitals sollten auch Marxisten anerkennen und ihr nicht widersprechen, so der Autor. 

Ein weiterer Konstruktionsfehler liege in der ungehemmten Macht der Rating-Agenturen, die am schwächsten Glied in der Euro-Kette, Griechenland, ein Exempel statuieren wollten. Zeise hat bereits 2009 in einem Zeitungsbeitrag für die Tageszeitung „junge Welt“ darauf hingewiesen, wie sich die anderen Euro-Staaten verhalten würden, um Griechenland mit allen Mitteln „zu retten“. Indem man den IWF als „Retter“ mit ins Boot holte, hätte jeden klar sein müssen, dass die „Griechen am Ende bluten sollen“. (86)

Der Autor vertritt zu Recht die Meinung, dass weder die Euro-Zone durch das „Spardiktat der deutschen Regierung“ noch durch die „Regierungsübernahme“ durch die Europäische Zentralbank „gerettet“ werden könne. Oder anders formuliert: „Veränderungen, die notwendig wären, um die Währungsunion weiter zu entwickeln, um sie zu erhalten, widersprechen so grundlegend den Interessen derer, die sie aus der Taufe gehoben haben, dass es dazu nicht kommen wird.“ Damit es dazu käme, müsste das Finanzkapital entmachtet und seine Vermögensansprüche entwertet werden sowie die EU-Staaten sich durch die Einführung eines einheitlichen Steuersystems dem Zwang der Verschuldung und damit der Macht des Finanzkapitels entziehen. (135) Illusionslos stellt Zeise fest, dass es dazu nicht kommen werde, weil ein Ausweg aus der Krise der „Interessenlage des herrschenden Kapitals“ zuwiderlaufe sowie die Gegenkräfte „schwach und politisch uneins“ seien. 

Als Finanzjournalist hätte Lucas Zeise der Frage nachgehen sollen, warum Deutschland nicht aus der Euro-Zone austritt. Dass Deutschland zu den Profiteuren des Euro gehöre, glauben nur diejenigen, die davon wirklich profitieren: das Finanzkapital und die Großkonzerne. Der Bürger musste seit der Einführung dieser Polit-Währung erhebliche Einkommens- und Vermögensverlust hinnehmen. 

Die Analyse ragt weit über das hinaus, was von der journalistischen Zunft sonst so zu Papier gebracht wird. Ein sachkundiges Buch, verständlich geschrieben und überaus lesenswert. Möge es viele Leser/innen finden.