Samstag, 7. April 2012

Friedensnobelpreis für Günter Grass?

Die politisch-mediale Schlammschlacht, die im Nachklapp zum Prosagedicht des Großschriftstellers Günter Grass die Bundesrepublik Deutschland überrollt, sagt viel über die psychische Verfasstheit der deutschen Meinungsbildungselite aus, die sich über einen Satz, der bereits durch eine Umfrage der Europäischen Union im Jahr 2003 von zirka zwei Dritteln der Deutschen und anderen Europäern bejaht worden ist, echauffiert. Damals wurde bereits Israel als die größte Gefahr für den Weltfrieden dicht gefolgt von Iran, Nord-Korea und den USA umfragefest gemacht. Wie es sich gehörte, distanzierte sich die EU-Kommission flugs von den Ergebnissen ihrer in Auftrag gegebenen eigenen Untersuchung. Neben diesem provokanten Satz findet sich eigentlich kein einziges Faktum über die behauptete „existentielle Bedrohung“ Israels durch Iran in dem Polit-Gedicht.

Lag also Grass mit seiner Quasi-Frage: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?“ fast zehn Jahre nach der EU-Umfrage gar nicht so daneben, wenn man sich die hysterischen Reaktionen vor Augen führt, die einige schwammige Aussagen und dieser Aussagesatz ausgelöst haben? Nicht Israel gehört auf die Couch, wie einst ein Buchtitel von Ofer Grosbard für die Israelis meinte feststellten zu müssen. Wäre nicht eine solche Therapie auch für Deutsche angebracht?

Etwas jedoch unterscheidet diese Kampagne von früheren. Wie gehabt, beteiligen sich die alte Garde und die üblichen Verdächtigen an dieser Aktion, die jede Kritik an der Unterdrückungspolitik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern und die Angriffsdrohungen der augenblicklichen israelischen Regierung gegen Iran mit dem Vorwurf des „Antisemitismus“ ins politische Aus bugsieren wollen. Es gibt aber vereinzelt auch Medienschaffende wie den Herausgeber der Wochenzeitung „Der Freitag“, Jakob Augstein, Künstler wie Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, oder wagemutige Politiker wie Niema Movassat und Wolfgang Gehrke von der Partei „Die Linke“, die öffentlich Partei für Günter Grass ergreifen. Darüber hinaus zeigt sich im Internet ein ganz anderes Meinungsbild. Justament diese Diskrepanz zwischen der kontrollierten veröffentlichen und der öffentlichen Meinung der Mehrheit der Menschen war das Unbehagen, das wohl Günter Grass veranlasst haben könnte, seine letzte Tinte zu verschreiben, wobei er nicht immer den richtigen Ton getroffen hat. Trotz einiger suboptimaler Formulierungen stünde Nachsicht mit Grass einigen gut zu Gesicht.

Nachdem bereits kriegführende Präsidenten, ehemalige Terroristen und andere Vertreter der internationalen Politik - aber auch viele großartige Persönlichkeiten und Organisationen - den Friedensnobelpreis erhalten haben, sollte jetzt endlich wieder einmal ein verdienter Schriftsteller mit dieser Ehrung ausgezeichnet werde. Warum nicht Günter Grass?