Dienstag, 20. Dezember 2011

Ulrich Schäfer, Der Angriff

Als die Terroranschläge am 11. September 2001 die Zwillingstürme des World Trade Centers zum Einsturz brachten, brachen die USA unverzüglich zu ihrem „war on terrorism“ gegen Afghanistan und Irak auf, jedoch ohne überzeugende politische Strategie. Um es salopp zu formulieren, ging es dem „boy-emperor from Crawford, Texas“ darum, „to kick some ass“. Dass dies keine adäquate politische Gegenstrategie zu den Anschlägen war, zeigt auch das Buch des Ressortleiters des Wirtschaftsteils der „Süddeutsche Zeitung“, Ulrich Schäfer.

Nach Meinung des Autors zielt die eigentliche Absicht Al-Kaidas auf die Wirtschaft des Westens. Die Terroristen haben dem Westen einen „Wirtschaftskrieg“ aufgezwungen, der auf die Vernichtung des Wohlstandes abziele. Folglich müsse der islamistische Terror mit anderen Augen gesehen werden. Die beschwichtigenden Worte der Politiker sowie die Vorurteile der Medien über die Gotteskrieger müssten beiseitegeschoben werden, um den wahren Kern der Bedrohung zu erkennen. Diesen Anspruch will der Autor mit seinem Buch einlösen.

Die Gegenstrategie Schäfers besteht darin, auf die gravierenden Folgen des Terrors für Wirtschaft und Gesellschaft des Westens hinzuweisen und eine Gegenstrategie zu entwerfen, das heißt eine „Wohlstandssicherheitsstrategie“, welche die fragile Wirtschaft vor solchen Angriffen so gut wie möglich schützt. Ob die Anschläge von Al-Kaida-Terroristen oder nicht auch die völlig überzogenen Reaktionen des US-Imperiums für den drohenden Untergang der USA verantwortlich sind, wird vom Autor nur unzureichend thematisiert.

Schäfer versucht nachzuweisen, dass letztendlich Al-Kaida verantwortlich für die gegenwärtige Finanzkrise ist. Obgleich er für seine These, dass das Terrornetzwerk auch auf die Wirtschaft des Westens abzielt, um ihn ausbluten zu lassen, bis er bankrottgeht, Zitate anführt, würde diese These einem Freispruch für die zum Teil dubiosen Machenschaften gewissenloser Bankiers, Finanzjongleuren und Spekulanten bedeuten. Ebenso sind es nicht die Kosten für die zusätzliche Sicherheit, die der Westen aufbringen muss, sondern die horrenden Ausgaben für die zahllosen Kriege, die das US-Imperium und die Länder des Westens meinen führen zu müssen. So kostet der Afghanistankrieg die USA über sieben Milliarden US-Dollar pro Monat. Die USA werden letztendlich an ihrem Größenwahn und auch ihren Schulden zugrundegehen. Wie sagte es doch der ehemalige US-Finanz- und Außenminister unter George H. W. Bush dem Älteren, James Baker: „Wir sind bankrott, wirklich bankrott. Unsere größte Herausforderung ist die Schuldenzeitbombe.“

Der Autor stellt zu Recht fest, dass die Kriege des US-Imperiums nur vordergründig um die Entmachtung einiger Diktatoren geführt werden, sondern der Westen führe die Kriege in erster Linie „um Öl und Gas“. Also nicht um Freiheit, Demokratie und Gender Mainstreaming, wie die neokonservativen Bush-Krieger noch vor dem Überfall auf den Irak tönten. Das ernüchternde Resultat nach acht Jahren Krieg und Verwüstung in Irak: eine sunnitische Diktatur wurde durch eine schitische ersetzt zum alleinigen Nutzen Irans! Die Investitionen des US-Imperiums wurden also in den arabischen Treibsand gesetzt. All dies bleibt bei Schäfer völlig unterbelichtet. Eine maßlose Verschuldungspolitik der USA ist also die primäre Ursache der Finanzkrise, bewirkt durch eine irrationale politische Kriegsstrategie.

Nach Meinung des Autors ist der Westen den Al-Kaida-Terroristen in die Falle gegangen. Er zeigt, wie durch einen relativ geringen finanziellen „Aufwand“ seitens der Terroristen, enorme Folgekosten für die Sicherheit aufgewendet werden müssen. Es handele sich bei den Al-Kaida-Strategen nicht um „religiöse Wirrköpfe“ oder „Fanantiker“, die wahllos bombten. Von diesem Zerrbild müsse der Westen sich verabschieden, um zu den wirklichen Absichten Al-Kaidas vorstoßen zu können. Die erzeugte „Strategie der Angst“ sowie eine Politik der „strategischen Überdehnung“ könnten letztendlich zum Kollaps des US-Imperiums führen.

Um zu den sieben Punkten seiner „Wohlstandssicherheitsstrategie“ zu kommen, hätte es nicht dieser ausschweifenden und in Teilen redundanten Ausführungen bedurft. So müsse der Westen die Entwicklung der islamischen Welt, die Globalisierung, die Warenströme, die Energieversorgung, die Staatsfinanzen, die Finanzmärkte sowie die Computernetze sichern, um langfristig seinen Wohlstand erhalten zu können. Erwähnt wurde nicht, dass der Westen sich von seiner Hybris, Islamphobie und seinen Obsessionen gegenüber anderen Völkern und Kulturen befreien muss, die ihn auf den militärpolitischen Irrweg geführt haben. Die wirtschaftliche Stoßrichtung des Al-Kaida-Terrornetzwerkes hätte auch kürzer und mit weniger Alarmismus vorgetragen werden können.