Dienstag, 1. Februar 2011

Mose, der Pharao und Israel

Der Legende nach führte Mose die Israeliten aus der Gefangenschaft des ägyptischen Pharaos in die Nähe des „Gelobten Land“, das Palästina ist und heute zu einem Teil aus dem Staat Israel besteht. Diese religiöse Parabel könnte als das betrachtet werden, was sie ist: religiöse Erbauungsliteratur. Seit der Veröffentlichung des Buches von Shlomo Sand über „Die Erfindung des Jüdischen Volkes“ ist bekannt, das es ein solches niemals gegeben hat; es ist eine Erfindung, folglich ist das Gerede von Exil und Rückkehr nach 1948 ebenfalls eine Legende, ein Mythos, der von der zionistischen Bewegung geschaffen worden ist. Nach John Rose war David Ben-Gurion, der erste Ministerpräsident Israels, „the greatest myth maker“.

Eine gewisse politische Aktualität erhalten diese „religiösen“ Legenden jedoch durch die aktuellen Entwicklungen im Reich des neuen, des US-amerikanischen Pharao, namens Hosni Mubarak. Er ist nach US-amerikanischer Lesart ein „Anker der Stabilität“, obgleich er ein Diktator ist. Auch der Staat Israel zählt dieses diktatorische Regime zu seinen engsten Verbündeten, obgleich die israelische politische Elite auch meint, ein „jüdischer und demokratischer“ Staat zu sein. Die ganze Welt befürwortet eine Ablösung dieses Diktators, nur die israelische Regierung fordert US-Präsident Obama auf, sich hinter ein diktatorisches Regime zu stellen und es zu unterstützen. Ist es nicht ein Treppenwitz der Geschichte, dass einst Mose die Israeliten aus der Knechtschaft des Pharao in die Freiheit geführt hat und heute die angeblichen Nachkommen von Mose sich für die Erhaltung einer Diktatur des neuzeitlichen Pharao über sein eigenes Volk aussprechen? Was werden wohl dazu die ägyptischen Sklaven und Untertanen sagen, dass dies ausgerechnet von denjenigen kommt, die einst der Knechtschaft des Pharao entkommen sind? Die zukünftigen Herrscher Ägyptens werden das den „Israeliten“ bestimmt nicht vergessen.

Der Freiheitsdrang des ägyptischen Volkes hat nichts mit islamischen Fundamentalisten oder den „finsteren“ Machenschaften Irans zu tun, wie die israelische Regierung behauptet, um dadurch Widerstand des Westens gegen seine eigenen Interessen und Prinzipien und damit wider die Demokratiebewegung zu mobilisieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel, der man dies bei ihrem Israelbesuch eingeflüstert hat, hatte sich wenigstens dieses Mal nicht von diesen schrägen Ideen der israelischen politischen Elite betören lassen. US-amerikanische und europäische Interessen sind etwas völlig anderes als israelische Interessen, solange Israel nicht bereit ist, westlich-demokratischen Standards in Bezug auf die humane Behandlung der Palästinenser und der Achtung des Völkerrechts zu entsprechen.

Wenn das Mubarak-Regime auf dem Müllhaufen der Geschichte landet, sind die beiden Verlierer die USA und ihr „Albatross like ally, Israel“. Beide haben das Mubarak-Regime instrumentalisiert, um zusammen gegen die Interessen des palästinensischen Volkes vorzugehen. Die USA alimentieren den Diktator jährlich mit 1,5 Milliarden US-Dollar, und die Israelis haben ihm das Gefühl gegeben, er spiele im „Friedensprozess“ eine wichtige Rolle als Unterstützer der Palästinenser. Tatsächlich war er nur der Steigbügelhalter und das arabische Feigenblatt für die fortdauernde israelische Besatzung, und dies zusammen mit dem jordanischen Gambling-King im Schlepptau. Das Schweigen des ägyptischen Diktators zum israelischen Massaker um die Jahreswende 2008/9 wiegt umso schwerwiegender, als das Regime und die Abbas-Palästinenser vorab informiert und gefragt worden sind, ob sie den Gaza-Streifen nicht übernehmen wollten; was beide dankend abgelehnt haben. Dass den westlichen Demokratien dazu außer Schweigen nichts eingefallen ist, dürfte ihrem machtpolitischen Zynismus und ihrer absoluten Israel-Loyalität geschuldet gewesen sein.

Das größte Problem des von den USA dominierten Westens ist dessen Politik des doppelten Standards. Die USA kritisieren Menschrechtsverletzungen in China, Russland, Weißrussland, Nord-Korea oder Iran, aber sie schweigen zu den wesentlich schwerwiegenderen bei den „guten“ westlich-orientierten Diktatoren und Despoten in der arabischen Welt oder Zentralasiens. Ja, man benutzt diese sogar als Folterer im Namen westlicher Werte, wie die Verschleppungen angeblicher Terroristen in arabische Kerker durch die US-amerikanische CIA belegen, in denen sie im Namen der Demokratie für die US-amerikanischen Auftraggeber „weichgefoltert“ worden sind. Diese doppelten Standards des Westens schlagen besonders schwer zu Buche, wenn man sich das politische Verhalten der israelischen Regierungen im besetzen Palästina anschaut.

Seit 43 Jahren kolonisiert und unterdrückt Israel die Freiheitsbestrebungen und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes. Es verletzt dabei jede Norm des Völkerrechts, die Menschenrechte und alle so genannten westlichen Werte. Was tut der Westen, insbesondere die US-Regierung dagegen? Sie rechtfertigt all dies und blockiert jede Verurteilung dieser Verbrechen im UN-Sicherheitsrat durch ihr Veto mit dem „Argument“, die UN-Resolutionen seien nicht „ausgewogen“. Wie sollen die Verurteilungen der Massaker gegen die Zivilbevölkerung, Angriffe auf andere Staaten oder das Entsenden von Killerkommandos in andere Länder „ausgewogen“ sein? Diese doppelten Standards, die aus falsch verstandener Solidarität gepflegt werden, schaden enorm der Glaubwürdigkeit der USA und seinen Verbündeten. Mit welchem Recht will der Westen diktatorischen oder despotischen Regimes glaubwürdig etwas von der Einhaltung der Menschrechte erzählen? Um wieder glaubwürdig zu werden, muss sich der Westen an die Spitze der Intifadas in der arabischen Welt setzen und darf sich nicht von Israel, das eine eigene Agenda verfolgt, beeinflussen lassen. Der Aufstand der arabischen Massen hat nichts mit „Terror“ oder dem so genannten „war on terrorism“ zu tun. Westliche Interessen im Nahen und Mittleren Osten sind nicht identisch mit israelischen Interessen oder dessen ideologischen Obsessionen. Wer einen Einblick in die verquere Logik des israelisch-zionistischen Denkens nehmen will, sollte den Artikel des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers Moshe Arens in der Tageszeitung „Haaretz“ lesen.

Wie beunruhigt die arabischen Despoten bereits sind, zeigt das Regime des Gambling-Kings in Jordanien. Vorsorglich hat er schon einmal seine Regierung entlassen. Bevor er wieder dieselben aus der immer gleichen Elite ernennt, sollte er wirklich freie Wahlen abhalten lassen, damit das Volk entscheiden kann, wer es regieren soll. Wenn in einer solchen Regierung auch islamische Abgeordnete sind, ist das vom Westen zu akzeptieren. Oder will der Westen noch einmal das unwürdige Schauspiel aufführen wie nach den freien Wahlen in Palästina, als das Volk die Hamas mit absoluter Mehrheit gewählt hat und nicht die korrupten Mitglieder der PLO? Den US-Amerikanern fiel nichts Besseres ein, als die frei gewählte Regierung durch eine enge Zusammenarbeit zwischen israelischer Besatzungsmacht, CIA und palästinensischer Beteiligung aus der Regierung zu putschen.

George W. Bush hat sich immer gefragt, warum die Menschen in der arabischen Welt angeblich die USA hassten. Er gab die falsche Antwort: „Sie hassen uns, wegen unser Freiheit und unseren Werten.“ Nein, beides wird auch in der arabischen Welt bewundert. Wenn die US-Regierungen „gehasst“ werden, dann für ihre Politik gegen die Interessen der Menschen in der Region, für ihre doppelten Standards und für die bedingungslose Unterstützung des israelischen Besatzungsregimes über das palästinensische Volk. Wenn dies die amerikanische Elite nicht einsehen will, sollte sie sich aus dem Nahen und Mittleren Osten verabschieden. John F. Kennedy hat sich in seiner berühmten Rede im belagerten Berlin als „ein Berliner“ bekannt. Heute bekennen sich Palästinenser und andere Unterdrückte in der arabischen Welt als „Egyptians“. Dieses Symbol sollte wenigstens den US-Amerikanern zu denken geben.