Dienstag, 23. Februar 2010

Mythen des Zionismus (The Myth of Zionism)

Das spannende Buch von John Rose, Soziologe am Southwark College und an der London Metropolitan University, liegt jetzt auch in deutscher Übersetzung vor. Anstoß dazu gab ihm die unglaubliche Aussage des Ex-Ministerpräsidenten Ehud Barak, der behauptete, dass „das Lügen“ ein Wesenszug der arabischen Kultur sei. Der Autor behauptet, dass zionistische Politiker wie Barak ihre Ansprüche auf das Westjordanland hinter „religiösen Mythen“ verbergen; sie berufen sich auf „Sagen über das historische ´Land Israel`“. Die zentrale These von John Rose lautet, dass die zionistische Ideologie durch eine Anzahl von Mythen zusammengehalten werde. Der Autor ist mutig, dies zu konstatieren. Geradezu bescheiden formuliert er dagegen sein Anliegen: „Für mich war vordinglich, die Mythengebäude des Zionismus einzureißen.“ Zum Wesen der Wissenschaft gehört es, Mythen zu entzaubern. Dies kann aber bei der heutigen ideologisch aufgeheizten Debatte zu erheblichen Konsequenzen für denjenigen führen, die solche Thesen vertreten. Dies gilt insbesondere für die USA und Deutschland. Wenn die deutschsprachige Elite jemals dieses Buch lesen sollte, was nicht zu erwarten ist, werden stehen ihnen die Haare zu Berge. Nachdem Rose fast alles in Frage stellt, was der israelischen und der internationalen politischen Elite als „heilig“ gilt, zieht er folgendes Resümee für die Lösung des Nahostkonfliktes: „Der Zionismus ist das Problem, seine Beseitigung ist die Voraussetzung für Frieden im Nahen Osten und für die arabisch-jüdische Versöhnung in Palästina. Das ist die einzig mögliche Schlussfolgerung aus diesem Buch.“ Dieses Resümee können die Palästinenser bestimmt nachvollziehen, aber nur wenige in Deutschland oder den USA.

Rose teilt nicht die typisch westliche Ansicht, dass beide Auffassungen über das gleiche Land berechtigt seien: „Sie sind es nicht.“ Auch der US-Amerikaner Marc Ellis vertritt in seinem Buch „Out of the Ashes“ die These, dass der Zionismus das eigentliche Problem sei. Ellis hält den Zionismus nicht nur für eine Bedrohung für die Palästinenser, sondern auch für „die Zukunft des Judentums insgesamt“. Rose weist in diesem Zusammenhang auf den damaligen Rektor des Jüdischen Kollegs und heutigen Großrabbiner von Großbritannien, Jonathan Sacks, hin, der, weil er für Ellis Partei ergriffen hatte, „durch die starke Hand der britischen jüdisch-religiösen Orthodoxie mundtot gemacht“ worden sei.

Der Autor entzaubert alle Mythen des Zionismus. Was in den USA und Deutschland einem politischen Selbstmord gleichkommt und in Israel als staatsfeindlich angesehen wird, ist in Großbritannien scheinbar noch möglich. Rose trennt fein säuberlich die Fakten von der Fiktion und den Mythen, welche die zionistischen Repräsentanten vor der Staatsgründung und die israelischen Politiker danach gewebt haben. David Ben-Gurion, der erste Ministerpräsident Israels, sei der beste „Mythenbildner“ gewesen. Er habe biblische Terminologie benutzt, welche die Grundlage des Zionismus bilde. Heutzutage findet im Internet und auf der politischen Bühne eine intensive Debatte zwischen Apologeten und Kritikern des Zionismus statt. Rose gibt letzteren überzeugende Argumente an die Hand, welche erstere nur durch den Vorwurf des „Antisemitismus“ versuchen werden, zu „entkräften“. Dass Zionismus und Judentum sich wie Feuer und Wasser verhalten, hat Jacov M. Rabkin in seinem exzellenten Buch „A Threat From Within. A Century of Jewish Opposition to Zionism“ dargelegt.

Rose analysiert die jüdische Geschichte und die daraus abgeleitete Forderung auf Palästina. Er hält diesen historisch nicht für überzeugend begründet. Ebenso verhält es sich mit dem Anspruch auf das „Land Israel“, dies sei selbst ein „religiöser Mythos“. Der Mythos vom „Jüdischen Volk“ hat erst jüngst Shlomo Sand in seinem Buch „The Invention of the Jewish People“ wissenschaftlich begründet.

Der Autor legt einen bisher unbekannten Aspekt offen, und zwar den Widerstand der Bauern gegen die Enteignung ihres Landes. Nicht nur dieser Gesellschaftsschicht, sondern auch der palästinensischen Elite sei von Begin an klar gewesen, dass die Kolonisierung Palästinas zu ihren Lasten gehen würde. Dies Kolonisierung hat auch Dan Diner in seinen beiden ausgezeichneten Büchern nachgewiesen.

Bis heute wird von israelischer Seite versucht, die zionistische Landnahme Palästinas als etwas völlig anderes als eine Art der Kolonisierung darzustellen. Der Widerstandswille der Palästinenser gegen die israelische Landnahme sei bis heute ungebrochen, weil es um Gerechtigkeit und Wahrheit gehe. Der historischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen, ist ein zentrales Anliegen von John Rose. Ein beeindruckendes Werk, das vielleicht abfärben könnte auf die Eliten in Europa und den USA. Aber seine Ausführungen klingen für deutsche und US-amerikanische Ohren so unglaublich, dass ihnen nur das Argument „antisemitisch“ einfallen dürfte. Es ist zwar "intellektuell" dürftig, aber es scheint immer noch zu funktionieren. Dieses Buch sollte man unbedingt lesen.