Mittwoch, 19. November 2008

Destroying World Order

Der so genannte „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan und der völkerrechtlich umstrittene Überfall auf den Irak brachte für die US-Amerikaner ein überraschendes Ergebnis: die Welt sieht die USA als eine der größten Gefahren für den Weltfrieden, wie EU- und BBC-Umfragen belegen. Die Intervention der Vereinigten Staaten hat der Region des Nahen- und Mittleren Ostens bisher keinen Frieden, sondern nur Chaos, Elend und Instabilität beschert. Der Irak wurde zum Tummelplatz des internationalen Terrorismus. Was aber gravierender scheint, ist die Infragestellung des geltenden Völkerrechts und die Destabilisierung des Internationalen Systems als Ganzem. Trotz der Platitüde, dass sich seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 „alles verändert“ habe, behauptet Francis A. Boyle, Professor für Völkerrecht an der Universität von Illinois in Champaign, dass die imperialistische Ausrichtung der US-Außenpolitik seit der Gründung der Vereinigten Staaten gleich geblieben sei.

Nach Lektüre des Buches fragt man sich, ob die Liste der "Schurkenstaaten" nicht der Ergänzung bedürfe. Für den Autor sind die USA der „Rogue Elefant der Internationalen Beziehungen“. Boyle argumentiert in den neun Kapiteln des Buches ausschließlich legalistisch, ganz in der Tradition seines Landes, in der die „Rule of Law“ auf der gleichen Stufe mit „Gott, Mutterschaft und Apfeltorte“ rangiert. Seine Argumente gegen die verschiedenen US-Regierungen sind juristisch sehr überzeugend, obgleich es zu all seinen Behauptungen viele Gegenargumente gibt. Der Autor verteidigt vehement alle Minderheiten und deren Menschenrechte. Er gehörte dem Vorstand von Amnesty International an und war u. a. Rechtsberater der Verhandlungsdelegation der Palästinenser unter Haidar Abd el-Shafi von 1991 bis 1993 in Washington. Sein Engagement für die Rechte der Palästinenser ist besonders ausgeprägt, was maßgeblich zu seiner „Außenseiterrolle“ innerhalb der Wissenschaftsgemeinde in den USA beigetragen hat. Dies ist jedoch nicht als Makel, sondern als Auszeichnung zu verstehen.

Das Anliegen des Autors ist es nachzuweisen, dass die US-Regierungen unter Jimmy Carter, Ronald Reagan, George W. H. Bush senior, Bill Clinton und insbesondere George W. Bush junior das Völkerrecht und die Menschenrechte kleinerer Staaten nach Belieben verletzen. So hätten die USA ihr „Recht auf Selbstverteidigung“ immer sehr exzessiv ausgelegt. Die Reagan-Administration bemühte den „Caroline-Fall“ aus dem Jahre 1837, um ihre Vergeltungsschläge in der Golfregion, im Libanon, Libyen und gegen den internationalen Terrorismus zu rechtfertigen. Damals argumentierte Außenminister Daniel Webster, dass die Selbstverteidigungsmaßnahmen nur im äußersten Notfall angewandt werden dürften, wenn keine anderen Mittel mehr zur Verfügung stünden und keine Möglichkeit der Verhandlung mehr gegeben sei. Diese Definition machte sich auch das Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg 1945 zu Eigen, als es die Nazi-Verbrecher aburteilte.

Boyle wirft den US-Präsidenten in Bezug auf den Krieg gegen den Irak vor, „Kriegsverbrechen“ begangen zu haben. So habe Bush sen. die Zerstörung von lebenswichtigen Einrichtungen des Irak angeordnet, die Umwelt stark beeinträchtigt, absichtlich Zivilisten und wehrlose Militärs bombardieren lassen, den Irakern lebensnotwendige Medizin, sauberes Wasser sowie Lebensmittel vorenthalten und die ökonomische Grundlage des Landes ruiniert. Boyles Antrag auf Amtsenthebung, den der texanische Abgeordnete Henry Gonzales im Kongress einbrachte, wollten sich aber keine weiteren Abgeordneten anschließen. Einen ähnliches Amtenthebungsverfahren hat der Autor auch gegen Bush jun. angestrengt, das sich auch gegen Justizminister John Ashcroft richtet, dem Boyle vorwirft, die USA mit dem „Patriot Act“ in einen „Polizeistaat“ verwandeln zu haben. Auch diesem Antrag dürfte kein Erfolg beschieden sein.

Der Autor lehnt auch „humanitäre Interventionen“ ab, da kein Staat nach Völkerrecht das Recht habe, unter dem Vorwand der humanitären Intervention einen anderen UN-Mitgliedstaat militärisch anzugreifen. Wie sich doch diese wohlbegründete Volkerrechtsposition von einigen Interventionsbefürwortern in Europa abhebt. Boyle zeigt auf, dass das Völkerrecht und die Vereinten Nationen Instrumente bereithalten, Konflikte friedlich beizulegen. Für den Autor haben nur die Verbrechen der Nazis gegen das europäische Judentum eine militärische Intervention gerechtfertigt. In völliger Verkennung des Auftrages der NATO hält er diese Allianz für die „größte Ansammlung von völkermordenden Staaten, die sich jemals in der Geschichte zusammengeschlossen haben“. Folglich höre man von dieser Allianz auch kein Wort über eine humanitäre Intervention gegen Israel, um den Schutz des palästinensischen Volkes zu garantieren.

Boyle´s Beiträge sind zwar alle völkerrechtlich überaus fundiert und stringent, zeigen aber auch einen Hauch von Verzweifelung und Machtlosigkeit, mit der er juristisch gegen die Übermacht der US-Regierung anrennt. Eine Änderung der Politik der USA könne nur durch das amerikanische Volk erzwungen werden. Ihm müsse vermittelt werden, dass die amtierende Regierung gegen die Prinzipien des Rechtsstaates verstoße. Die „Rule of Law“, welche die US-Bürger mit der Muttermilch aufgesogen hätten, müsse wieder ins Bewusstein der Öffentlichkeit gerückt werden. Es sei höchst Zeit in dieses „psychische Reservoir“ der Bürger einzudringen, welches das charakteristischste Merkmal des amerikanischen Volkes sei. Um diesem Anliegen zum Durchbruch zu verhelfen, hat der Autor noch eine lange und beschwerliche Strecke zurückzulegen. Die kritischen Beiträge zeigen, dass Kritik an der US-Regierung nichts mit Antiamerikanismus zu tun hat. Für alle, die ebenfalls mit der Politik der Bush-Regierung nicht einverstanden sind, ist dieses Buch eine argumentative Fundgrube. In der Zwischenzeit hat das amerikanische Volk sein Verdikt gefällt und Senator John McCain auch deshalb nicht gewählt, weil es keine Fortsetzung der Bush-Politik für weitere vier Jahre haben wollte. Ob jedoch mit Barack Hussein Obama Besserung einzieht, kann nur die Zukunft zeigen. Die „Clintonisierung“ von Obama´s Präsidentschaft verheißt nichts Gutes.